"Lebensgefährliche Routine der Unmenschlichkeit"
Diakonie in Rheinland-Pfalz, der AK Asyl - Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz und der Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz kritisieren geplanten Abschiebeflug nach Afghanistan scharf und fordern bundesweiten Abschiebestopp.
Diakonie in Rheinland-Pfalz, der AK Asyl - Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz und der Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz kritisieren geplanten Abschiebeflug nach Afghanistan scharf und fordern bundesweiten Abschiebestopp.
Mainz. Seit dem 31. Januar dieses Jahres weist das Robert Koch-Institut Afghanistan als sogenanntes "Hochinzidenzgebiet" aus. Das Auswärtige Amt (AA) erklärt in seinen aktuellen Reise- und Sicherheitshinweisen für Afghanistan, was das bedeutet: "Afghanistan ist von COVID-19 besonders stark betroffen. Das Gesundheitssystem hält den Belastungen nicht stand." Das AA warnt deshalb dringend vor Reisen nach Afghanistan und fordert deutsche Staatsangehörige dazu auf, das Land zu verlassen.
Nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen soll am 9. Februar 2021 ab München trotzdem die insgesamt 36. Sammelabschiebung nach Kabul seit Ende 2016 stattfinden. Die Diakonie in RLP, der AK Asyl - Flüchtlingsrat RLP und der Initiativausschuss für Migrationspolitik in RLP fordern angesichts der Situation vor Ort einen sofortigen bundesweiten Abschiebungstopp nach Afghanistan. Von der Landesregierung Rheinland-Pfalz erwarten sie, sich unter keinen Umständen an Abschiebungen dorthin zu beteiligen.
Der geplante Sammelcharter am 9. Februar wäre der erste Abschiebflug aus Deutschland seit der "Joint Declaration on Migration Cooperation", die die Europäische Union und Afghanistan im Januar dieses Jahres unterzeichnet haben. Demnach können künftig monatlich bis zu 500 Flüchtlinge aus der EU nach Afghanistan abgeschoben werden. Bisher wurden seit Dezember 2016 insgesamt 963 afghanische Flüchtlinge aus Deutschland abgeschoben. Die Zahlen in anderen europäischen Staaten liegen deutlich darunter. Das jetzt vereinbarte hohe monatliche Maximalkontingent und der vergleichsweise frühe Zeitpunkt des geplanten Abschiebecharters im Februar lassen befürchten, dass es künftig mehr als nur eine Sammelabschiebung pro Monat aus Deutschland geben könnte.
Gleichzeitig weisen auch internationale Organisationen darauf hin, dass sich die Situation vor Ort dramatisch verschlechtert:
- In ihrem Bericht an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen führt die UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Deborah Lyons, am 17. Dezember 2020 aus:
- „Afghanistan steht vor einer neuen Welle von COVID-19. Die Auswirkungen dieser Pandemie waren bereits verheerend. Die zweite Welle im Winter wird voraussichtlich noch viel schädlicher sein als die erste Frühjahrswelle. Hunger und Unterernährung haben zugenommen und die Lebensgrundlagen sind erodiert.“
- „Im Oktober und November verursachten Sprengfallen über 60 Prozent mehr zivile Opfer als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Im dritten Quartal 2020 stiegen die Opferzahlen von Kindern gegenüber dem 2. Quartal um 25 Prozent, während sich die Angriffe auf Schulen vervierfachten.“
- Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) hat am 17. Januar 2021 mitgeteilt, dass 42 Prozent der afghanischen Bevölkerung derzeit von Hunger oder akuter Unterernährung betroffen sind. Gegenüber 2015 hat sich diese Zahl nahezu verfünffacht. Die Lage wird durch eine Rekordzahl an Rückkehrern in 2020 (860.000 Rückkehrer*innen) zusätzlich verschlimmert.
- Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters verzeichnete das afghanische Innenministerium von Oktober 2020 bis Ende Dezember 2020 landesweit insgesamt 487 zivile Todesopfer und 1.049 zivile Verletzte durch 35 Selbstmordanschläge der Taliban und weitere 507 Sprengstoffanschläge. Für den vorangegangenen Zeitraum Januar bis Oktober 2020 beziffert die Afghanistan-Unterstützungsmission der Vereinten Nationen (UNAMA) die Zahl getöteter Zivilist*innen auf über 2.100 und die Zahl verletzter Zivilist*innen auf über 3.800.
Als "lebensgefährliche Routine der Unmenschlichkeit" bezeichnen die Diakonie in RLP, der AK Asyl - Flüchtlingsrat RLP und der Initiativausschuss für Migrationspolitik in RLP deshalb die monatlichen Sammelabschiebungen nach Afghanistan. Sie begrüßen ausdrücklich, dass Rheinland-Pfalz sich an den Abschiebungen im Dezember 2020 und im Januar 2021 nicht beteiligt hat.
Vor dem Hintergrund der andauernden Gewalt und der Folgen der vor Ort grassierenden Pandemie erneuern die Diakonie in RLP, der AK Asyl - Flüchtlingsrat RLP und der Initiativausschuss für Migrationspolitik in RLP ihre Forderungen:
- Die Bundesregierung muss sofort von Abschiebungen nach Afghanistan Abstand nehmen und mit einem umfassenden Abschiebestopp auf die desaströse Situation im Land reagieren.
- Wenn die Bundesregierung menschenrechtswidrig daran festhält, afghanische Flüchtlinge in konkrete Lebensgefahr abzuschieben, darf Rheinland-Pfalz sich hieran keinesfalls beteiligen.
- Wenn sich die Bundesregierung einem umfassenden Abschiebstopp nach Afghanistan verweigert, muss die Landesregierung - möglichst gemeinsam mit anderen Bundesländern – sofort einen Abschiebungsstopp nach § 60a Absatz 1 Satz 1 AufenthG erlassen.
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