Die nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan steht an
Seit Beginn des inzwischen weitgehend abgeschlossenen Abzugs der Bundeswehr und anderer internationaler Streitkräfte aus Afghanistan hat sich die Sicherheitslage vor Ort ein weiteres Mal dramatisch verschlechtert.
Seit Beginn des inzwischen weitgehend abgeschlossenen Abzugs der Bundeswehr und anderer internationaler Streitkräfte aus Afghanistan hat sich die Sicherheitslage vor Ort ein weiteres Mal dramatisch verschlechtert. Während die Taliban das Land Zug um Zug zurückerobern, grassiert die dritte Welle der Pandemie vor Ort in einem Ausmaß, das weit über das der beiden ersten Wellen hinausgeht. Darauf weisen der Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz, die Diakonie in Rheinland-Pfalz und der Flüchtlingsrat RLP erneut eindringlich hin.
„Die Bundesregierung weiß sehr genau um die Lebensgefahr, in der sich die ehemaligen afghanischen Ortskräfte der Bundeswehr jetzt befinden. Und sie weiß sehr genau, dass diejenigen, die aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben werden, dort keine verlässliche Überlebensperspektive haben“, sagt Torsten Jäger, der Geschäftsführer des Initiativausschusses für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz. „Dass sie sich dennoch weigert, die Ortskräfte auszufliegen und an Abschiebungen nach Afghanistan festhält, ist ein menschenrechtlicher Skandal.“
Der nächste Abschiebungsflieger aus Deutschland nach Kabul soll nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen schon morgen oder übermorgen abheben. Ihren Unwillen, aus der konkreten Gefährdungslage der betroffenen Konsequenzen zu ziehen, hat die Bundesregierung dieser Tage in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion erneut dokumentiert. Darin teilt sie im Hinblick auf die Ortskräfte mit, dass „Gruppenaufnahmen nicht vorgesehen“ sind und deren „Ausreise aus Afghanistan weiterhin nach eigener Entscheidung auf dem von der jeweiligen Ortskraft gewählten Reiseweg“ erfolgen soll.
„Die afghanischen Ortskräfte trotz konkreter Lebensgefahr nicht auszufliegen, sondern ihnen lediglich ein Visum in die Hand zu drücken und ein lapidares ‚Wenn Du es schaffst, dann sehen wir uns in Deutschland.‘ hinterherzurufen, hat rein gar nichts mit der Dankbarkeit und dem Verantwortungsbewusstsein zu tun, die Mitglieder der Bundesregierung in ihren Sonntagsreden zum Truppenrückzug immer wieder beschwören“, sagt Albrecht Bähr, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Diakonie in Rheinland-Pfalz.
Auch im Hinblick auf die Sammelabschiebungen nach Afghanistan, die von ihr selbst organisiert werden, macht sich die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage einen schlanken Fuß, indem sie ein Initiativrecht der Bundesregierung für einen Abschiebungsstopp verneint und in „Mach Du doch-Manier“ auf die diesbezügliche Zuständigkeit der Länder verweist. Ein bundeseinheitliches Vorgehen, abgestimmt über die Ständige Konferenz der Innenminister des Bundes und der Länder, wäre sehr wohl möglich und wurde in der Vergangenheit im Bedarfsfall auch praktiziert.
„Trotzdem sind angesichts der offensichtlichen Unwilligkeit der Bundesregierung jetzt die Länder am Zug“, sagt Pierrette Onangolo, die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrat RLP e.V. „Sie müssen angesichts der dramatischen und sich absehbar weiter verschlechternden Situation in Afghanistan gegenüber der Bundesregierung auf eine schnelle und unbürokratische Gruppenaufnahme der Ortskräfte drängen, dem Bundesaußenministerium eine zeitnahe Neubewertung der Sicherheitslage abverlangen und durch den eigenverantwortlichen Erlass eines dreimonatigen Abschiebungsstopps gemäß §60a Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes sicherstellen, dass Abschiebungen solange ausgesetzt werden, bis auch der letzte Hardliner in der Bundesregierung einsehen muss, dass Menschen nicht sehenden Auges in Lebensgefahr verbracht werden dürfen.“
Genau das erwarten die drei Organisationen jetzt von der rheinland-pfälzischen Landesregierung. Sie begrüßen deshalb die Bereitschaftserklärung von Integrationsministerin Katharina Binz vom vergangenen Freitag, afghanische Ortskräfte überquotal aufzunehmen und die Aufnahme durch das Land logistisch zu unterstützen: „Das war ein wichtiges und richtiges Zeichen an den Bund. Aber wenn die Landesregierung ihren Anspruch auf eine humanitäre Flüchtlingspolitik ernst nimmt, dann muss sie jetzt noch einen Schritt weiter gehen. Aus humanitärer Sicht gibt es zur Nichtbeteiligung des Landes an Sammelabschiebungen und zu einem sofortigen Abschiebungsstopp nach Afghanistan keine Alternative.“